Montag, 4. Februar 2008

Samstag, 2. Februar 2008. Holloway.


Da steht Morrissey und singt. Das Lied habe ich noch nie zuvor gehört, aber trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, bin ich zutiefst entzückt. Zum Abschluss eine kurze, wortlose Neckerei mit Showmaster Jonathan Ross und dann ist er hinter der Bühne verschwunden. Ich schaffe es gerade noch, den Fernseher auszuschalten und schlafe schließlich mit der Gewissheit, die letzte Nacht in Charlton zu verbringen, und Morrisseys neuer Single im Ohr ein.

Am Morgen kann ich es kaum erwarten, meinen Koffer wieder zu schließen und mich auf meinen endgültigen Weg nach London und in meine neue Bleibe für die nächsten Monate zu machen. Bereits um kurz nach neun stehe ich am Bahnhof London Bridge und beschließe, mir einmal die Dekadenz einer Taxifahrt durch London zu leisten. Um halb zehn und um 16 Pfund erleichtert stehe ich dann vor dem großen, aus gelben Backsteinen gefertigten Studentenwohnheim. Ich bin viel zu früh und stelle mich bereits darauf ein, noch einige Zeit warten zu müssen bis ich mein Zimmer beziehen kann. Doch der überaus freundliche und humorvolle Mann an der Rezeption händigt mir sofort Schlüssel für sämtliche Türen und einen Willkommensumschlag aus und heißt mich als neue Einwohnerin willkommen. Mit dem Fahrstuhl fahre ich in den ersten Stock und folge einem langen, engen und kahlen Gang bis ich meine Wohnungstür mit der Nummer zwölf erreiche. Vorsichtig schließe ich auf und trete ein. Der Flur ist klein und die Türen tragen die Nummern eins bis vier. Wenigstens bin ich nur mit drei anderen Stundenten zusammen und nicht mit fünf, denke ich und horche. Nichts und niemand ist zu hören und so öffne ich langsam die Tür zu meinem Zimmer. Nach dem zellenartigen Hotelzimmer in Charlton, in dem ich mich nach einer Woche sogar fast schon ein bisschen heimisch gefühlt habe, sind meine Erwartungen ohnehin auf ein Minimum gesunken. Ich schätze den Raum auf etwa zehn Quadratmeter. Bett, Nachtschrank, Tisch, Stuhl, Wandregal, Pinnwand, Kleiderschrank mit integriertem Waschbecken. Klassisch sporadisch. Was mein Herz jedoch höher schlagen lässt, ist das große quadratische Fenster, das direkt an der Ostseite des Gebäudes und somit an der Parkhurst Road liegt. Schon stelle ich mir vor, wie ich abends auf der breiten Fensterbank sitzen und in die Londoner Nacht hinaus schauen werde. Leise trete ich aus meinem Zimmer, um den Rest der Wohnung zu inspizieren. Eine Schwingtür führt in die Küche, die ich am liebsten sofort wieder verlassen möchte. Unordentlich und unaufgeräumt ist ja das eine, aber die Küche ist vollkommen verdreckt und es fällt mir schwer, mir vorzustellen, jemals etwas in ihr zu kochen. Im Bad sieht es nicht viel besser aus. Der Dreck in den Ecken kommt durch das grelle Neonlicht nur noch besser zur Geltung und mir wird klar, dass ich meine langen Warmduscher-Angewohnheiten fortan werde ändern müssen. Unschlüssig gehe ich wieder zurück in mein Zimmer, überlege, womit ich anfangen soll, um in diesem Raum ein Heimatgefühl herzustellen. Plötzlich höre ich Stimmen aus der Küche und beschließe, dass es wohl das beste sein wird, mich meinen zukünftige Mitbewohnern, mit denen ich nun immerhin über vier Monate auskommen muss, sofort vorzustellen. Als ich die Tür öffne, schauen mich ein Mädchen, eine Frau und ein Mann überrascht an. Das Mädchen stellt sich als Alice vor und erzählt mir, dass ihre Mutter und ein Freund die letzte Nacht hier verbracht haben und alle vom Abend zuvor noch ziemlich fertig seien. Ihre Mutter fragt mich, ob ich gerne abends weggehe und feiere, ihre Tochter nämlich sei ein echtes „partyanimal“. Als ich zögerlich nicke, verdreht sie bloß die Augen: „Oh dear!“ Auch ich verdrehe innerlich die Augen und fürchte, dass die kommende Zeit nicht nur in universitärer Hinsicht hart wird. Mir fällt auf, dass ich noch einige Besorgungen für mein Zimmer machen muss und so gehe ich als erstes zu Argos, um Bettdecke und Kopfkissen zu kaufen. Orientierungslos stehe ich in dem überraschend leeren Laden. Leer insofern, als dass es keinerlei Regale gibt, aus denen man etwas entnehmen könnte, also auch kein Bettzeug. Ich beobachte die anderen Leute, wobei mir drei riesige Schilder ins Auge fallen: 1. ORDER, 2. PAY, 3. GET YOUR ITEMS. In dem Bereich, über dem das erste Schild hängt, sind Plätze mit Katalogen und einem elektronischen Gerät, das aussieht wie ein großer Taschenrechner platziert. Ich blättere durch den Katalog und finde schließlich, wonach ich suche. Der große Taschenrechner zeigt an, dass ich bitte die Katalognummer meiner Artikel eingeben soll, was ich tue. Daraufhin erscheint die Information, dass noch drei Bettdecken und vier Kopfkissen der Sorte da sind, die ich bevorzuge. Aha, denke ich, und bin so schlau wie zuvor. Ich entdecke neben mir einige Zettel, auf denen ich die Katalognummern eintragen kann und stelle mich damit in die Schlange unter dem zweiten Schild, in der Hoffnung, das richtige Procedere zu durchlaufen. Schließlich bin ich an der Reihe und zahle. Wenige Minuten später wird meine Rechnungsnummer aufgerufen und ich kann meine Ware unter dem dritten Schild entgegen nehmen. Gar nicht mal so schwer, denke ich, und bin unglaublich stolz, diesen Einkauf so schnell gemeistert zu haben. Kaum bin ich wieder zurück im Wohnheim und dabei, eine Liste der Dinge zu erstellen, die ich noch benötigte, kommt Alice in mein Zimmer gerauscht, setzt sich und fängt an, mich über alles mögliche auszufragen. Nebenbei zeigt sie keinerlei Scheu, Dinge aus meinem Koffer oder vom Nachtschrank zu nehmen diese zu inspizieren. Es scheint das beste, beschließe ich, meine Zimmertür zukünftig wirklich immer geschlossen zu halten. Nicht dass ich ein Problem damit habe, wenn andere Leute sich mein Hab und Gut anschauen, aber ein Mädchen, dass bereits wenige Minuten nachdem wir uns kennen gelernt haben, ungefragt in meinen Sachen wühlt, ist doch etwas zu viel. Als sie meine Liste sieht, schlägt sie mir sofort vor, mich zu einem Pennyshop zu begleiten, in dem ich das meiste davon günstig kriegen kann. Ich willige dankend ein, in der Gewissheit dass ihr Vorschlag ohnehin mehr einer Entscheidung ihrerseits als einer wirklichen Wahlmöglichkeit für mich gleicht. Und in der Tat, es gibt in England Läden, in denen man das ein oder andere sogar günstiger bekommt als in Deutschland. Nachdem ich hinterher noch gleich durch den ansässigen MORRISONS Markt gejagt wurden bin, geht es vollbepackt zurück ins Wohnheim, wo ich endlich damit beginnen kann, dem kahlen Raum etwas Farbe zu verleihen.




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