Freitag, 8. Februar 2008

Donnerstag, 7. Februar 2008. Holloway.

Ich stehe senkrecht im Bett. Dem schrillen Ton nach zu urteilen steht eine Ambulanz der NHS mit Blaulicht direkt in meinem Zimmer. Aber stopp. Kurz reflektiere ich und mir fällt wieder ein, dass wöchentlich um elf Uhr der Feueralarm getestet wird. Natürlich ausgerechnet immer am Donnerstag, meinem einzigen unifreien Tag in der Woche. Nachdem der Test nach dreimaliger Wiederholung des Alarms wohl positiv verlaufen ist, begebe ich mich in die Küche. Nur ein Glas Saft soll es sein, im Schrank entdecke ich jedoch kein einziges meiner Gläser. Langsam wandert mein Blick über das dreckige Geschirr, das sich neben der Spüle stapelt. Und tatsächlich, inmitten des Chaos stehen meine Gläser. Auch der große Messbecher, in dem eine undefinierbare braune Flüssigkeit über Nacht erste Anzeichen eines Eigenlebens entwickelt hat, kommt mir leider sehr bekannt vor. Ich versuche mir einzureden, dass es doch völlig okay ist, wenn die anderen mein Geschirr mitbenutzen, solange sie es wieder abwaschen und zurück in den Schrank stellen. Irgendwie finde ich aber auch, dass sie zumindest hätten fragen können. Nein, für ein WG-Leben bin ich ganz offensichtlich nicht geschaffen. Das ist mir bereits vor ein paar Tagen klar geworden, als jemand seine Wurst in meinem Kühlschrankfach platziert hatte und nachdem ich meine Kleidung in der Waschmaschine gewaschen und sie kurze Zeit später bereits aufgehängt auf dem Wäscheständer vorgefunden hatte. Eine nette Geste, mag man meinen, aber zu meinem Schrecken war es nicht Alice, die sie aufgehängt hatte, und da wir die einzigen weiblichen Bewohner dieser Wohnung sind, muss es ergo einer der Jungs gewesen sein. Nach 17 Monaten Singlehaushalt bin ich wohl doch pingeliger geworden als angenommen.
Aber ich möchte mich gar nicht weiter beschweren, sonst nimmt das am Ende noch Formen an wie bei einer meiner deutschen Mitstudentinnen, die mir in unserem ersten Gespräch sofort erzählt hat, wie sie beim Anblick ihres Zimmers im selben Wohnheim in Tränen ausgebrochen ist und dass ihre Mutter, die zugegen war, ihr gleich bescheinigt hat, dass das Zimmer nicht größer sei als die Gästetoilette daheim in München.


Am Abend nehmen mich Alice und ihre Freundin Amy mit zum Movie Table Quiz in der Student Union, der Rocket Bar auf der Holloway Road. Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben an einem Table Quiz teilgenommen, obwohl wahrscheinlich jeder English und Irish Pub in Deutschland seinen festen Movie Table Quiz-Tag in der Woche hat. Während Alice und ihre Freundinnen, die im Übrigen fast ausnahmslos dem Stereotypen des britischen Mädchens entsprechen - etwas kräftiger gebaut, laut und leicht prollig – eine Antwort nach der anderen auf den gelben Zettel schreiben, muss ich feststellen, dass mein Wissen im Bereich Film wohl auch irgendwo in den frühen bis mittleren 70er Jahren stehen geblieben ist. Von der Hälfte der Filme habe ich noch nie gehört, den absoluten Großteil nie gesehen. Die anderen sind angesichts so viel Filmunkenntnis leicht geschockt, so scheint mir. Am Ende verfehlen wir den Sieg um nur einen Punkt und gehen leider ohne die Flasche Wein und den HMV-Gutschein im Wert von 60 Pfund nach Hause.
Später habe ich dann noch das zweifelhafte Vergnügen, alleine mit meinem Mitbewohner Luke in der Küche zu stehen. Abgesehen von einem kurzen Hallo haben wir bisher noch nicht miteinander kommuniziert, also geht er wieder los, der obligatorische „Wo kommst du her, was machst du, wie gefällt es dir?“ - Smalltalk. Und dann das: „Bist du Single?“ Bitte was, habe ich das gerade richtig verstanden? In der Tat, das habe ich. Nicht unbedingt eine Frage, mit der man zu diesem Zeitpunkt des gegenseitigen Kennens rechnet, aber in Anbetracht der WG-Umstände, die einem ohnehin kaum noch Privatsphäre lassen, warum nicht auch in dieser Beziehung den letzten, verbliebenen und bisher verborgenen Rest des eigenen Lebens nach außen kehren. Zögerlich bejahe ich die Frage, um es im gleichen Moment schon zu bereuen. Denn Luke entfährt ein lautes, ungeheuer selbstsicher klingendes „Yes!“ Vor Schreck lasse ich den Teller fast fallen, murmele ein langgezogenes „Oookaaay ...“ vor mich hin. „Oh, das war wohl etwas zu offensichtlich“, fügt er noch hinzu bevor er wortlos aus der Küche rauscht. Dem bleibt dann selbst mir nichts mehr hinzuzufügen.

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