Montag, 18. Februar 2008

Freitag/Samstag/Sonntag, 15./16./17.02.2008. Camden/Holloway/Clerkenwell.

Es ist Freitagabend und niemand hat Lust, auszugehen. Einen Freitagabend alleine auf seinem Zimmer zu verbringen, obwohl es einen eigentlich hinaus ins Nachtleben treibt, ist immer deprimierend. Einen Freitagabend aber in London alleine auf seinem Zimmer zu verbringen, obwohl man tanzen gehen will, ist angesichts des reichen Angebots an Clubs noch schlimmer. Um meiner ersten Depression zu entgehen, mache ich mich schließlich alleine auf den Weg. Mein Ziel ist das KOKO in Camden, in dem jeden Freitag der „Club NME“ mit Livebands und Indiemusik stattfindet. Der Club ist groß genug, um nicht weiter aufzufallen, wenn man alleine in der Menge steht. Denn wenn schon alleine weggehen, dann bitte nicht noch offensichtlich verloren und auf sich allein gestellt in der Gegend herumstehen.
Ich bin noch keine zehn Minuten im Club, als plötzlich Matthew vor mir steht. Matthew sieht ein bisschen aus wie eine Mischung aus Mike Skinner und Pete Doherty - ich stehe überhaupt nicht auf ihn. Er erzählt mir, dass er mit seinen 20 Jahren bereits eine eigene Firma besitzt, irgendwann mal irgendwo als einer der jüngsten Firmengründer Großbritanniens genannt wurde, 100 000 Pfund im Jahr verdient und einen BMW fährt. Alle zwei Minuten schaut er auf sein Handy (es könnte ja schließlich auch nachts um halb zwölf noch jemand geschäftlich anrufen) und als er dann noch seinen Schal ablegt und darunter eine silberne Halskette zum Vorschein kommt, ist er endgültig bei mir durchgefallen. Nun gut, solange er die Getränke zahlt, ist es in Ordnung, denke ich mir und versuche nebenbei seinen peinlichen Tanzstil zu ignorieren und dass er mir George Michael und Elton John als seine Lieblingsmusiker genannt hat (aber nein, schwul ist er leider nicht). Die Getränke werden natürlich stilecht mit Kreditkarte gezahlt, als er dann aber versucht, in den VIP Bereich zu kommen und dem Türsteher dafür Geld bietet, bin ich langsam etwas peinlich berührt. Ich widme mich den New Cassettes wieder zu, die mich im Gegensatz zu der ersten Band, Glasvegas, wenigstens bei Laune halten, und mache mich nach den Konzerten schleunigst und zum Leidwesen Matthews, der ja nun den ganzen Abend über quasi umsonst in mich investiert hat, aus dem Staub.

Samstagmorgen bemerke ich, dass mittlerweile auch mein letztes Ei und damit der gesamte Karton aus dem Kühlschrank verschwunden ist. Ein allmorgendlicher Kühlschrankcheck, um die kriminellen Energien meiner Mitbewohner zu dokumentieren, ist mittlerweile schon zur Routine geworden. Ich fasse also zusammen: Ich wohne zusammen mit Alice, dem stereotypischen britischen Mädchen aus dem rauen Norden, deren beste Freundin Amy, die eigentlich auf einer ganz anderen Etage in einer ganz anderen Wohnung wohnt, sich bereits seit geraumer Zeit bei uns einquartiert hat (inklusive Matratze), Simon, einem Belgier, der sich wohl mehr seiner House Musik statt dem Studium verschrieben hat, seinen allabendlichen, doch akustisch sehr stark vernehmbaren DJ-Tätigkeiten in seinem Zimmer nach zu urteilen, und Luke, einem Jungen aus Essex mit scheinbar leicht pädophilen Neigungen, schaue ich mir die einzelnen Mädchen an, die er jeden zweiten Tag mit nach Hause bringt.

Am Abend geht es zu „Brainwashed“ nach Clerkenwell. Als wir ankommen, macht der Sänger der Klaxons vor der Tür gerade ein wenig Randale. Da die offizielle Afterparty der Horrors, die im Astoria spielen, in die heutige Ausgabe von „Brainwashed“ eingebettet ist und Teile der Band später selber noch als DJs auflegen werden, sieht das Publikum dementsprechend aus. Überall laufen Gestalten mit sehr akkuraten, pechschwarzen Frisuren und Kajal untermalten Augen herum. Düstere Tiki- und Psychedelic-Klänge erfüllen den Raum und ich kann mich dem Gefühl nicht entledigen, in einer absoluten Freakshow gelandet zu sein! Seltsamerweise scheint die Epicurean Lounge an diesem Abend einer der Treffpunkte in London zu sein. Neben den bereits erwähnten Personen tauchen auch Pixie Geldof (die Tochter von Bob Geldof, in England auch gerne als It-Girl betitelt) und Bobby Gillespie noch auf, dessen Anwesenheit einen meiner Begleiter als Primal Scream Fan in große Verzückung versetzt.

Den Sonntag beginne ich das erste Mal seit meiner Ankunft mit einem klassischen englischen Frühstück, wenn auch zugegebenermaßen in der vegetarischen Variante. Das englische Essen mag zwar einen enorm schlechten Ruf haben, aber als Katerfrühstück sind gebackene Bohnen mit Champions und Spiegelei auf Toast unschlagbar! Aufgrund des blauen Himmels, entschließe ich mich, noch einmal ins Zentrum zu fahren und ein bisschen spazieren zu gehen, vielleicht verschwinden dann ja auch noch die Kopfschmerzen. Am Trafalger Square gerate ich plötzlich in eine riesige Menschenmenge, die rote Fahnen schwängt und von einem nicht enden wollenden Autokorso hupend unterstütz wird. Der ganze Platz ist eingenommen von feiernden Menschen. Ich frage einen neben mir stehenden Mann mit Fotoapparat, was denn los sei und er erklärt mir, dass der Kosovo letzte Nacht seine Unabhängigkeit erlangt hat. Angesichts der Szenerie auf dem Trafalger Square, muss der Kosovo heute allerdings sehr leer sein.

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