Montag, 4. Februar 2008

Mittwoch, 30. Januar 2008. Charlton.

„Life is very long when you’re lonely ...“
In der Tat bekomme ich langsam das Gefühl, dass die Tage in London immer länger werden. Während sie mir auf meinen ständigen Kurztrips davon zu rennen schienen, frage ich mich nun jeden Abend, wie ich wohl die nächsten 24 Stunden füllen soll, und das möglichst auch noch, ohne viel Geld auszugeben, was bedeutet, dass Shopping in diesem Fall auch keine Lösung ist. Es ist ja die eine Sache, einige Tage alleine daheim zu sitzen, jedoch in dem Bewusstsein, theoretisch jederzeit jemanden anrufen zu können, um ein Treffen zu vereinbaren. Es ist eine völlig andere Sache, alleine in einer fremden Stadt zu sitzen und zu wissen, dass im Grunde niemand da ist, den man erreichen kann, wenn man sich ein wenig Gesellschaft wünscht. Natürlich weiß ich, dass mein momentaner Zustand nur noch von kurzer Dauer sein wird – in drei Tagen ziehe ich endlich in mein Studentenwohnheim, das nicht nur zentraler liegt und mir somit ermöglicht, jederzeit am Londoner Leben teilnehmen zu können, sondern das ich mir mit drei bis fünf anderen Studenten teilen werde, was heißt, dass es in Zukunft also eher schwer sein wird, überhaupt einmal alleine zu sein.



Die viele freie Zeit, die ich scheinbar sinnlos totschlage, indem ich stundenlang ziellos durch London renne, versuche ich dafür zu nutzen, die Eigenarten dieser Stadt und ihrer Menschen zu erkunden. Als erstes fällt einem wohl auf, wie unglaublich dreckig es hier ist. Nun ist Charlton ohnehin noch dreckiger als wahrscheinlich der Rest Londons, was sich zum Teil mit dem hier angesiedelten riesigen Industriegebiet erklären lassen mag, doch auch Massen an ganz alltäglichem Müll finden sich überall – und das in ganz London. Vielleicht kann man den Menschen aber nicht einmal Vorwürfe machen, dass sie ihren Abfall in die Gegend werfen, Mülleimer nämlich sind in London ein rares Gut. Seit sie nach den Terroranschlägen aus den Bahnhöfen und U-Bahn Stationen verbannt wurden, scheint es sie nur noch vereinzelt an den Ein- und Ausgängen zu geben und hat man einmal innerhalb der Stadt Müll produziert, wird es schwer, diesen schnell wieder loszuwerden. So habe ich erst heute Morgen meine Zeitung einmal quer durch die Stadt tragen müssen, bis ich mich ihrer an der Holloway Road endlich entledigen konnte. Was die Entsorgung der Zeitungen anbelangt, diese erfolgt vorzugsweise einfach durch das Liegenlassen in der Tube. Und zu entsorgen gibt es an Zeitungen eine Menge in London. Im Gegensatz zu Deutschland haben sich kostenlose Blätter, die sich alleine durch Anzeigen finanzieren, in England längst etabliert und so ist es schwierig, sich an einem Morgen nicht die METRO und am Abend nicht die LITE oder thelondonpaper andrehen zu lassen. Die Inhalte dieser Zeitungen beschränken sich fast ausschließlich auf Großbritannien, was einmal wieder das große Interesse der Briten an anderen Nationen zum Ausdruck bringt. Und in keiner Ausgabe fehlen darf eine Doppelseite darüber, welcher Promi am Tag zuvor wieder wo und wobei gesichtet wurde in London. Auf diese Weise erfährt man zum Beispiel, dass man Jude Law am vorigen Morgen um 11:00 bei einem Spaziergang durch Notting Hill verpasst hat, Kate Moss, wie sie sich am Abend zuvor in Hampstead den neuen Johnny Depp Film angeschaut hat oder Moby, der sich zur besten Rush Hour Zeit als Straßenmusiker am Sloane Square postiert hat.
Dass London in Sachen Musik mehr zu bieten hat als wahrscheinlich jede andere Stadt der Welt, ist ohnehin bekannt. Aber irgendwie scheinen die Briten auch mit einem Gen ausgestattet zu sein, dass ihnen nicht nur eine große Liebe zur Musik ganz allgemein, sondern größtenteils auch einen unglaublich guten Geschmack diesbezüglich beschert. Es spricht ja schon für sich, dass sich zwei so große Ketten wie Virgin und HMV hier halten können, in deren Stores sich an CD’s, Vinyl, DVD’s, Noten, Musikbüchern und –zeitschriften alles finden lässt, was das Herz begehrt (selbst Tonträger, die in Deutschland nur noch mit viel Glück in Secondhandläden gefunden werden können und deshalb schon fast als Raritäten gelten, stehen hier noch original verschweißt in den Regalen). Aber auch in Supermärkten, Cafés und anderen Läden ist es nahezu unmöglich, sich länger als 15 Minuten aufzuhalten, ohne dass nicht ein guter Song läuft: im kleinen Café auf der Holloway Road laufen plötzlich Pulp mit „Common People“, aus einem Sportbekleidungsgeschäft dringt laut Razorlight’s „America“ auf die Straße, während es draußen stürmt und regnet, wird bei Waterstone’s „Good Day Sunshine“ von den Beatles gespielt und selbst in dem riesigen ASDA Supermarkt bei mir um die Ecke kann ich zu den Thrills einkaufen gehen. Einkaufen in London überfordert mich derzeit ehrlich gesagt noch etwas. Ich kenne die Produkte und Marken nicht und während ich dabei bin, zu überlegen, was ich nehmen soll, habe ich das Gefühl, allen anderen Leuten nur im Wege zu stehen, die sich mit ihren mit Supersize-Produkten vollbeladenen Einkaufswagen an mir vorbei drängen. Besonders schwierig wird es an den Süßwarenregalen. All die Törtchen, Kekse, Schokoladen- und Karamellschnitten sehen so verführerisch aus, dass man das Obst, den Käse und das Brot am liebsten wieder zurücklegen möchte. Und wenn dann noch das honiggelbe Poohbär-Gesicht von einer der Packungen auf mich hinunterlacht, ist ohnehin alles verloren. Für die Zukunft habe ich mir daher vorgenommen, von vorneherein einen Bogen um jene Regale zu machen. Schaut man sich einen großen Teil der Briten an, speziell der Britinnen, dürfte das allerdings auch Ansporn genug sein, stark zu bleiben.

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